>> Coachella, Krise oder Komfort? Zahlungspläne im Festival-Ticketing zwischen Realität und Relevanz

60 % der Coachella-Besucher*innen haben in diesem Jahr ihr Ticket über einen Zahlungsplan gekauft. Eine beachtliche Zahl – und gleichzeitig eine, die aktuell vielerorts als Warnsignal für eine Branche im Wandel gedeutet wird. Von finanzieller Überforderung ist die Rede, von einer Generation, die sich Festivals „nicht mehr leisten kann“ – oder vielleicht nicht mehr leisten will? Aber ist es wirklich so dramatisch? Oder erleben wir gerade einfach, wie sich Festival-Ticketing dem anpasst, was im E-Commerce längst Standard ist: mehr Flexibilität, mehr Auswahl, mehr Sicherheit für Konsument*innen?

>> Zwischen Lebensrealität und Erlebniswunsch

Was man bei all dem nicht vergessen darf: Gen Z und junge Erwachsene haben es wirtschaftlich gerade nicht leicht. Viele sind belastet mit Studienkrediten, kämpfen mit hohen Mieten, befristeten Jobs und einer Inflationsrate, die selbst den Supermarkteinkauf zum Luxus macht. Der Gedanke an Eigenheim oder Familie? Für viele in weiter Ferne. Laut Studien glauben nur 26 % der Gen Z, bis 35 ein eigenes Zuhause zu besitzen.

Und trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – sind sie bereit, für Erlebnisse zu investieren. Weil sie wissen: Das Jetzt kann ich gestalten. Das Später… mal sehen. Festivals wie Coachella liefern genau dieses Gefühl von Freiheit, Gemeinschaft, Eskapismus. Die Möglichkeit, dabei zu sein – selbst wenn’s monatlich ein bisschen zwickt – wird durch Zahlungspläne Realität.

Ein $599-Ticket mit $49,99 Anzahlung und einer moderaten Gebühr über drei Monate verteilt? Für viele ist das nicht Ausdruck finanzieller Not, sondern von Prioritätensetzung. Lieber Festival als Fernseher. Lieber Erleben als Eigentum.

Flexibilität ist kein Zeichen von Schwäche

Natürlich: Zahlungspläne bergen auch Risiken. Wer mehrere “BuyNowPayLater”-Verträge parallel bedient, kann schnell die Übersicht verlieren. Verbraucherschützerinnen warnen vor Mahngebühren, negativen Schufa-Einträgen und „phantom debt“ – also Schulden, die nicht im klassischen Bonitätssystem auftauchen. Studien zeigen, dass 43 % der Nutzerinnen von Zahlungsplänen in den USA ihr Konto mindestens einmal überzogen haben. Gleichzeitig melden Anbieter wie Affirm aber auch Rückzahlungsraten von über 90 %. Und auch Coachella selbst verzeichnet kaum Zahlungsausfälle.

Heißt: Wer bewusst plant, nutzt BNPL nicht als Notlösung, sondern als smartes Tool zur Steuerung seiner Liquidität. Und ehrlich – was ist daran verwerflich?

Ein Trend, der nicht nur Coachella betrifft

Was sich in der kalifornischen Wüste zeigt, hat längst Strahlkraft auf die Branche insgesamt: Auch bei Festivals wie Lollapalooza läuft ein Großteil der Ticketkäufe über Zahlungsmodelle. Seit Coachella 2009 erstmals Pläne anbot, ist der Anteil von 18 % auf 60 % gestiegen – getrieben von steigenden Preisen, neuen Lebensrealitäten und einem klaren Wunsch nach Erreichbarkeit.

Spannend ist auch, dass viele Fans nicht nur Tickets, sondern auch Hotel, Merch und sogar Verpflegung über BNPL finanzieren. Die Gesamtausgaben pro Wochenende können schnell die $1.000-Marke knacken – aber für viele ist das okay. Denn das Erlebnis zählt. Der Moment zählt.

Und in Deutschland?

Auch hierzulande passiert gerade viel. Die Infield Weeks von Höme haben mit stornierbaren Tickets für Fans experimentiert, und auch erste deutsche Festivals testen Zahlungspläne oder frühzeitige Ratenmodelle. Sicher nicht immer bequem für Veranstaltende – aber vielleicht notwendig.

Denn wenn wir ehrlich sind: Zahlungsmodelle sind kein Zeichen von Schwäche. Sie sind ein Service. Eine Antwort auf eine veränderte Zielgruppe. Und vielleicht auch ein kleiner Schritt Richtung Fairness – weil sie den Zugang zu Kultur nicht allein am Kontostand festmachen.

Fazit: Kein Alarmsignal. Ein Realitätscheck.

Die Popularität von Zahlungsplänen ist kein Aufruf zur Panik, sondern ein Hinweis auf eine neue Realität. Eine, in der Erlebnisse einen hohen Stellenwert haben. Eine, in der finanzielle Freiheit auch bedeutet, selbst zu entscheiden, wie man zahlt. Eine, in der Ticketing nicht nur Verkauf, sondern Verantwortung ist.

Es ist Zeit, nicht nur über Preise, sondern über Modelle zu sprechen. Nicht nur über Risiken, sondern über Möglichkeiten.

Umdenken oder Krise?

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